Überblick
Als Reaktion auf verschiedene schwerwiegende innerstädtische Unfälle mit Todesfällen sah sich der Gesetzgeber veranlasst, eine neue gesetzliche Regelung einzuführen: § 315d StGB sanktioniert strafrechtlich verbotene Kraftfahrzeugrennen und rennähnliche Situationen.
In Extremfällen, wenn eine Person getötet wird, kann auch eine Strafbarkeit nach §§ 212, 211 StGB in Betracht kommen. Dies sind die Paragraphen zu Mord und Totschlag! Die fahrlässige Tötung wird, wenn der Tötungsvorsatz nicht nachgewiesen werden kann, nach § 222 StGB bestraft. Das LG Berlin hat in einem in breiter Öffentlichkeit bekannt gewordenen Verfahren den Tötungsvorsatz angenommen und wegen Mordes verurteilt.
- Überblick
- Die einzelnen Fallkostellationen des § 315d StGB
- Die strafrechtlichen Folgen
- Die weiteren Folgen: Unterbrechung der eigenen Mobilität
- Verlust des Versicherungsschutzes
- Verteidigungsansätze – wie kann geholfen werden?
- Denken Sie daran: Als Beschuldigter müssen Sie keine Angaben gegenüber der Polizei machen. Nehmen Sie anwaltliche Hilfe in Anspruch und lassen Sie Ihren Fall prüfen.
Der Gesetzestext: § 315d StGB – Verbotene Kraftfahrzeugrennen
(1) Wer im Straßenverkehr
1. ein nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet oder durchführt,
2. als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt oder
3. sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 2 oder 3 Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 strafbar.
(4) Wer in den Fällen des Absatzes 2 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(5) Verursacht der Täter in den Fällen des Absatzes 2 durch die Tat den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Die einzelnen Fallkostellationen des § 315d StGB
Die Veranstaltung eines nicht erlaubten Rennens (Nr.1)
Ein Rennen ist ein unter mehreren Beteiligten ausgetragener Wettbewerb mit Kraftfahrzeugen zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten, bei welchem ein Sieger ermittelt werden soll. Erforderlich ist das „subjektive Element eines Kräftemessens mit Wettbewerbscharakter“ (Kusche, NZV 2017, 414, 415). Auf eine vorherige Verabredung kommt es nicht an. Auch der spontan ausgetragene Wettbewerb zwischen zwei Ampel ist erfasst.
Ohne den Bruch der Verkehrsregeln ist der Fahrvorgang kein Rennen – dann ist es die normale zügige und erlaubte Fahrweise im Strassenverkehr.
Ausrichter ist z.B. derjenige, welcher ein Rennen plant, organisiert, Teilnehmer anwirbt, Startgeld annimmt, Preisgeld auszahlt oder eine Strecke definiert. Die Strafbarkeit des Ausrichtens dürfte bereits begründet sein, wenn das eigentliche Rennen noch nicht begonnen hat. Mindestens muss jedoch bereits eine abstrakte Gefahr begründet sein in Abgrenzung zu bloßen Vorbereitungshandlungen. Sind z.B. bereits die Strecke festgelegt, Teilnehmer gefunden und Zuschauer organisiert, sind die (gruppendynamischen) Prozesse bereits so gewichtig, dass einzelne Beteiligte nur schwer wieder Abstand nehmen können.
Die Durchführung bezieht sich auf eine praktische Beteiligung, z.B. die Einweisung von Startpositionen, Zeitnahme oder eine Ausleuchtung der Strecke. Für die Strafbarkeit ist – in Abgrenzung zur Ausrichtung – der Beginn des Wettbewerbs erforderlich.
Wer an einem Rennen teilnimmt, macht sich strafbar (Nr.2)
Teilnehmer ist derjenige, welcher als Fahrer eines Kraftfahrzeuges an einem Rennen teilnimmt. In Abgrenzung zur Durchführung sind also andere Beteiligte als die Fahrer nicht erfasst. Der Beifahrer ist nicht Teilnehmer. Fraglich ist der genaue zeitliche Beginn der Strafbarkeit. Genügt das Bereitstehen an einem Startpunkt oder muss bereits das Rennen durch die Losfahrt gestartet sein? Wann endet die Teilnahme bei einem Abbruch, z.B. weil der Fahrer zu einer ordnungsgemäßen Fahrweise zurückkehrt?
Auch der „Allein-Raser“, der „gegen sich selbst“ fährt, macht sich strafbar (Nr.3)
Dies ist die in der praktischen Anwendung häufigste Konstellation, da die Polizei mit der Staatsanwaltschaft extreme Geschwindigkeitsüberschreitungen nunmehr oft nach dieser Vorschrift verfolgen. Es müssen noch nicht einmal mehrere Fahrzeuge gegeneinander ein Rennen fahren. Auch der sog. „Einzel-Raser“ ist erfasst. Wer also selbst gegen die Uhr oder um einen Streckenrekord zu brechen alleine erheblich schnell fährt, riskiert die strafrechtliche Verfolgung. Die Abgrenzung von der Ordnungswidrigkeit zur Straftat ist schwierig, den die bloße Geschwindigkeitsüberschreitung soll nicht von der hohen Strafdrohung erfasst sein.
Die strafrechtlichen Folgen
- Mindestens: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren
- Bei konkreter Gefährdung: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren
- Bei Todesfolge oder schwerer Verletzung: Die Mindeststrafe ist Freiheitsstrafe von 1 Jahr und bis zu 10 Jahren
- Bei Verurteilung nach § 211 StGB: lebenslange Freiheitsstrafe
Da die Frage des Ausgangs eines Rennens im öffentlichen Strassenverkehr oft vom Zufall abhängig ist, kann ganz schnell der schlimmste Fall eintreten. Es könnte z.B. nur eine unbeteiligte Person im falschen Moment über den „Streckenverlauf“ gehen und von einem Fahrzeug erfasst werden. Oder einer der Beteiligten verliert die Kontrolle und fährt gegen eine oder mehrere Person(en) neben der Strecke. Abgesehen von der eigenen Gefährdung, droht also eine erhebliche Freiheitsstrafe.
Hinweis: Freiheitsstrafen von mehr als 2 Jahren können gem. § 56 StGB nicht zur Bewährung ausgesetzt werden!
Für alle Qualifikationen (Abs. 2, 4 u. 5) ist eine konkrete Gefährdung der geschützten Rechtsgüter erforderlich. Es muss also mindestens die Situation des „beinahe Unfall“ bzw. „es ist gerade noch einmal gutgegangen“ gegeben und für eine Strafbarkeit nachgewiesen sein. Die konkrete Gefährdung des anderen Rennteilnehmers ist nicht erfasst – dieser begeht nicht nur denselben Verstoß durch die Beteiligung, er ist außerdem in eigenverantwortlicher Selbstgefährdung unterwegs.
Zu denken ist auch an die Möglichkeit der Verwirklichung weiterer Straftatbestände, wie Z.B. der Nötigung und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort.
Die weiteren Folgen: Unterbrechung der eigenen Mobilität
Die Beschlagnahme des Führerscheins
Als eine der ersten Konsequenzen, wird die Polizei den Führerschein des Fahrers beschlagnahmen. Ab diesem Moment darf kein Kraftfahrzeug mehr geführt werden. Daran ändert auch kein Widerspruch gegen die Beschlagnahme etwas. Wer trotzdem fährt, fährt ohne Fahrerlaubnis und macht seine Lage nur schlimmer. Das Fahren ohne Fahrerlaubnis ist ebenfalls eine Straftat, welche mit Geld- oder Freiheitsstrafe und der Entziehung der Fahrerlaubnis geahndet wird.
Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis
Nach der Beschlagnahme des Führerscheins durch die Polizei wird im Regelfall über die zuständige Staatsanwaltschaft bei Gericht die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt werden. Nach § 111a StPO ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zulässig, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis entzogen werden wird. Dies wird im Regelfall bei einem Vorwurf nach § 315d StGB der Fall sein.
Die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis
Im Falle einer Verurteilung kommt es in der Regel zu einer „endgültigen“ Entziehung der Fahrerlaubnis durch das erkennende Gericht. Diese Folge ist gesetzlich so für den Regelfall vorgesehen, §§ 69, Abs. 1, 69 Abs.2 Nr. 1a StGB. Derjenige, der nach § 315d StGB verurteilt wird, ist in der Regel als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugrennens anzusehen. Insoweit wird also eine ähnliche Folge wie nach einer Alkohol- und/oder Drogenfahrt verhängt.
Mit der Entziehung der Fahrerlaubnis entscheidet das Gericht zugleich über die Zeitdauer der Sperre, in welcher durch die zuständige Führerscheinstelle keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Das Mindestmaß der Sperre beträgt 6 Monate.
Hier finden Sie Weiterführendes zur Entziehung der Fahrerlaubnis.
Zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wird es erforderlich, einen Antrag bei der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde zu stellen. Diese beurteilt den Einzelfall und wird in der Mehrzahl der „Raser“-Fälle zusätzlich eine MPU (Medizinisch-Psychologische-Untersuchung) anordnen.
Hier finden Sie Weiterführendes zur MPU.
Die Einziehung des Kraftfahrzeuges
Weitgehend unbekannt ist die Möglichkeit der Beschlagnahme und spätere Einziehung des in dem Vorfall geführten Kraftfahrzeuges, §§ 111b, 315f StGB. „Einziehung“ bedeutet nichts anderes als die Wegnahme. Insbesondere die Tuningszene mit wertvollen Fahrzeugen soll getroffen werden. Ob der Fahrer Eigentümer des Fahrzeuges zum Zeitpunkt der Straftat war, spielt übrigens keine Rolle. Auch ein geliehenes Fahrzeug kann eingezogen werden.
Verlust des Versicherungsschutzes
In der Kaskoversicherung entfällt der Versicherungsschutz. Bei der Haftpflichtversicherung droht der Regress des Haftpflichtversicherers. Im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung ist dem Einwand zumindest der versicherungsrechtlich relevanten groben Fahrlässigkeit kaum etwas entgegenzusetzen. Bei gemieteten Fahrzeugen greift die private Haftpflichtversicherung übrigens von vorneherin nicht.
Verteidigungsansätze – wie kann geholfen werden?
Neue gesetzliche Vorschriften bergen Unsicherheiten für die Rechtsanwendung. Häufig ist auch eine gewisse Übermotivation der Polizei bei der Beurteilung von grenzwertigen Sachverhalten festzustellen. Schließlich können sich verfassungsrechtliche Bedenken stellen. Alle diese Faktoren treffen auch auf die Vorschrift § 315d StGB zu.
Tatsächliche Schwierigkeiten
Zunächst einmal müssen die tatsächlichen Sachverhalte sicher ermittelt werden. Findet ein „echtes“ Rennen statt und liegt ggf. noch die Dokumentation per Dashcam oder andere Videoaufnahmen vor, gelingt der Nachweis leicht. Zur Frage der gefahrenen Geschwindigkeiten gibt es in den meisten Fällen sonst jedoch keine konkreten Messungen. Zu den inneren Beweggründen der Fahrer sind Feststellungen durch die Polizei ohnehin schwierig.
Mögliche Verfassungswidrigkeit?
Am problematischsten ist hierbei § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, da hier erhebliche Unklarheiten aus der Formulierung hervorgehen. Betroffen ist hier nicht nur die klassische Raserszene sondern jeder, der sich erheblich über die Geschwindigkeitsgrenzen hinwegsetzt. Doch ab welcher Grenze wird die klassische Ordnungswidrigkeit der überhöhten Geschwindigkeit zur Straftat?
Es gibt die unter Juristen verbreitete Auffassung, dass die Vorschrift nicht hinreichend bestimmt ist. Für den Adressaten (=jeder Autofahrer) ist es nämlich nicht sicher zu erkennen, was unter einer „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ gemeint ist. Geht es um die höchstmögliche Geschwindigkeit, die das jeweilige Fahrzeug technisch hergibt? Ist es die höchste Geschwindigkeit, die der individuelle Fahrer zu fahren imstande ist? Ist es die höchstmögliche Geschwindigkeit in der jeweiligen Verkehrssituation?
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), 09.02.2022 – 2 BvL 1/20 hat die Unsicherheit entschieden: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat § 315d Abs. 1 Nr. 3 des Strafgesetzbuches (StGB), der sogenannte Einzelrennen unter Strafe stellt, für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt.
Das Landgericht Stade (132 Qs 112 88/18) forderte zumindest rennähnlichen Charakter, zu welchem der Fahrer das Fahrzeug an die technischen und physikalischen Grenzen bringen müsse.
Das OLG Stuttgart (4 Rv 28 Ss 103/19) hingegen war weniger zurückhaltend. Es reiche eine relative Höchstgeschwindigkeit ab, die vom Fahrzeug und der jeweiligen Situation abhänge. Die Fähigkeiten des Fahrers, dessen Vorstellungen, die Wetterbedingungen und die Verkehrssituation sollen einbezogen werden in die Wertung.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Stuttgarter „Raser-Fall“ entschieden ( 17.02.2021 – 4 StR 225/20). Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es
dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein des Angeklagten eingezogen und eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von vier
Jahren angeordnet. Mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen
Rechts gestützten Revisionen erstrebten die Nebenkläger eine Verurteilung des
Angeklagten wegen tateinheitlich begangenen Mordes. Die Rechtsmittel hatten keinen Erfolg.
Die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes im angefochtenen Urteil
lässt aus den im Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts zutreffend dargelegten Erwägungen keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten erkennen. Das Landgericht hat das voluntative Element eines bedingten Tötungsvorsatzes unter anderem deshalb verneint, weil der Angeklagte nicht ausschließbar darauf vertraute, das Fahrzeug in gefährlichen Situationen auch bei hohen Geschwindigkeiten jederzeit sicher beherrschen zu können.
Die Beurteilung der Vorstellung des Fahrers ist also von größter Wichtigkeit. Ohne dessen Vorstellung von einer zumindest rennähnlichen Situation ist eine Verurteilung ausgeschlossen. Der Tatbestand kennt nämlich keine fahrlässige Begehung. Ohne Vorsatz keine Strafbarkeit. Bei der Frage ob Mord oder ein (fahrlässiges) Tötungsdelikt vorliegt, sind die Beweggründe des Fahrers ebenfalls entscheidend.
Denken Sie daran: Als Beschuldigter müssen Sie keine Angaben gegenüber der Polizei machen. Nehmen Sie anwaltliche Hilfe in Anspruch und lassen Sie Ihren Fall prüfen.
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