(BVerwG, Urteile v. 11.4.2019, 3 C 13.17, 3 C 14.17, 3 C 7.18, 3 C 2.18, 3 C 8.18, und 3 C 9.18)
Leitsatz:
Bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, darf die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen. In solchen Fällen hat sie gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu entscheiden.
Die Entscheidung des BVerwG betrifft alle Fälle, in denen nach durchgeführten Verkehrskontrollen eine Konzentration des psychoaktiven Cannabiswirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum von 1 ng/ml oder mehr festgestellt wurde.
Bisher stand für die Verwaltungspraxis der Fahrerlaubnisbehörden fest, dass ein Gelegenheitskonsument von Cannabis, der den Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht klar trennt, mit diesem Verhalten berechtigte Zweifel der Behörde an seiner Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs auslöst, die eine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigen (BVerwG, Urteil v. 23.10.2014, 3 C 3.13).
Das BVerwG bestätigte in seiner Entscheidung zunächst ausdrücklich die bisherige Rechtsprechung:
- ein gelegentlicher Konsument von Cannabis,
- der erstmaligbei einer Fahrt unter dem Einfluss des Cannabiswirkstoffes entdeckt wird,
- und gegen das unbedingte Trennungsverbot von Konsum und Fahren verstößt
ist in der Regel ungeeignet.
Gemäß § 45 FeV in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG ist in diesen Fällen die Fahrerlaubnis dann zu entziehen, wenn berechtigte Bedenken der Behörde an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen.
Das BVerwG weicht nun von dieser bisherigen Rechtsprechung ab indem es eine Ermessensausübung der Behörde fordert:
Nach der neuen Auffassung der Richter beinhaltet dies aber keinen Automatismus, der zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt, sondern die Behörde hat diese Entscheidung im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu treffen.
Die Fahrerlaubnisbehörde hat gemäß § 14 FeV vor einem „automatischen“ Entzug der Fahrerlaubnis geeignete Maßnahmen zur Klärung von bestehenden Eignungszweifeln einzuleiten:
- Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV gehört im Fall der gelegentlichen Einnahme von Cannabis hierzu ausdrücklich die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens(MPU).
- Die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens kann gemäß § 11 Abs. 7 FeV nur dann unterbleiben, wenn die fehlende Eignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde bereits feststeht. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn der Betroffene zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe zu sich genommen habe und ein erkennbarer Kontrollverlust festgestellt wurde.
Bringt der Betroffene der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei oder weigert er sich ganz, sich untersuchen zu lassen, darf die Fahrerlaubnisbehörde hieraus bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, § 11 Abs. 8 Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Die Schlussfolgerung darf aber nur dann gezogen werden, wenn die Beibringung eines Gutachtens zu Recht angeordnet wurde (VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 14.09.2004, 10 S 1283/04).