Blitzer 2019 – die saarländische Entscheidung

Das saarländische Verfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung (VerfG Saarland, Urt. v. 05.07.2019 – Lv 7/17) Geschwindigkeitsmessungen für unverwertbar erklärt. Diese Entscheidung war 2019 ein – gut begründeter – Paukenschlag und ist es auch noch bis heute.

Das Urteil: Das Grundrecht auf ein faires Verfahren ist verletzt

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 26.06.2017 und das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 28.03.2017 verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers auf ein faires gerichtliches Verfahren (Art. 60 Abs. 1 SVerf i.V.m. Art. 20 SVerf), das — in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3 SVerf — ein Grundrecht auf effektive Verteidigung einschließt.

Fehlt es an ihnen (den Rohmessdaten) und vermag sich eine Verurteilung nur auf das dokumentierte Messergebnis und das Lichtbild des aufgenommenen Kraftfahrzeugs und seines Fahrers zu stützen, so fehlt es nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren, wenn sich ein Betroffener wie hier — selbst ohne nähere Begründung -gegen das Messergebnis wendet und ein Fehlen von Rohmessdaten rügt. Eine Verurteilung kann dann auf dieser Grundlage nicht erfolgen.

Zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verurteilung einer Bürgerin oder eines Bürgers gehört, dass er die tatsächlichen Grundlagen seiner Verurteilung zur Kenntnis nehmen, sie in Zweifel ziehen und sie nachprüfen darf. Das gilt nicht nur in Fällen strafrechtlicher Sanktionen, sondern stets. Staatliches Handeln darf, so gering belastend es im Einzelfall sein mag, und so sehr ein Bedarf an routinisierten Entscheidungsprozessen besteht, in einem freiheitlichen Rechtsstaat für die Bürgerin und den Bürger nicht undurchschaubar sein; eine Verweisung darauf, dass alles schon seine Richtigkeit habe, würde ihn zum unmündigen Objekt staatlicher Verfügbarkeit machen. Daher gehören auch die grundsätzliche Nachvollziehbarkeit technischer Prozesse, die zu belastenden Erkenntnissen über eine Bürgerin oder einen Bürger führen, und ihre staatsferne Prüfbarkeit zu den Grundvoraussetzungen freiheitlich-rechtsstaatlichen Verfahrens.

Wenn zu den rechtlichen Rahmenbedingungen eines standardisierten Messverfahrens zählt, sich mit Einwänden gegen seine Ergebnisse wenden zu dürfen, so darf einem Betroffenen nicht von vornherein abgeschnitten werden, solche Einwände erst zu ermitteln.

Gibt es aber keine zwingenden Gründe, Rohmessdaten nicht zu speichern, und erlaubt ihre Speicherung, das Ergebnis eines Messvorgangs nachzuvollziehen, so ist es unerheblich, dass es sich bei Bußgeldverfahren um Massenverfahren von in aller Regel geringerem Gewicht für einen Betroffenen — immerhin können sie im Einzelfall eben doch dazu führen, dass erhebliche Einschränkungen der Mobilität und der beruflichen Einsatzmöglichkeiten entstehen — handelt, und dass in der weit überwiegenden Zahl aller Fälle Geschwindigkeitsmessungen zutreffend sind. Rechtsstaatliche Bedingungen sind nicht nur in der weitaus überwiegenden Mehrzahl aller Fälle zu beachten, sondern in jedem Einzelfall.

Was folgt aus dem Urteil?

Im Saarland gelten Messungen mit dem in der Entscheidung betroffenen Messgerät als nicht verwertbar. Laufende Bußgeldverfahren waren einzustellen. Aus Sicht der Betroffenen bedauerlich, sind allerdings andere Verfassungsgerichte nicht gefolgt.

Und nun? Das saarländische Verfassungsgericht steht auch bis aktuell 2025 deutschlandweit sehr einsam mit seiner Entscheidung da. Aktualität hat die Entscheidung erhalten, da nun ein Verfahren vor das saarländische Oberlandesgericht (OLG) gekommen ist und dieses eine Vorlage an den Bundesgerichtshof (BGH) gerichtet hat. Dieser muss nun entscheiden.

Der Kontext: die Entscheidung des BVerfG zum Zugang zu Daten

Das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 1616/18) hatte einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die den Zugang des Betroffenen im Bußgeldverfahren zu Informationen betrifft. Es ging um eine Geschwindigkeitsüberschreitung und die diese begründenden Daten, die (noch) nicht Teil der Bußgeldakte waren. 

Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folge auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Wenn der Betroffene Zugang zu Informationen begehrt, die sich außerhalb der Akte befinden, um sich Gewissheit über Tatsachen zu verschaffen, die seiner Entlastung dienen, ist ihm dieser Zugang grundsätzlich zu gewähren.

Hieraus folgt logisch die Verpflichtung der Behörde oder (spätestens) des Gerichts, alle zur Überprüfung der Messung erforderlichen Daten und Informationen zusammenzutragen und zur Verfügung zu stellen. Sind also Rohmessdaten erforderlich zur Überprüfung (und vorhanden), müssen diese, in der konsequenten Anwendung dieser Entscheidung, ermittelt und zur Verfügung gestellt werden.

Es sei maßgeblich auf die Perspektive des Betroffenen bzw. seines Verteidigers abzustellen. Entscheidend sei, ob dieser eine Information für die Beurteilung des Vorwurfs für bedeutsam halten darf.